Gundlagen
Dieses Kapitel bezieht sich auf Kinder und Jugendliche jenseits der Neonatalperiode. Für Akutmaßnahmen bei Neugeborenen siehe: Therapie bei zerebralem Neugeborenenanfall.
Definitionen
- Epileptischer Anfall: Vorübergehende exzessive oder synchrone Aktivität von Nervenzellverbänden des Gehirns, die zu einer Dysfunktion in den betroffenen Hirnarealen führt und klinisch mit vielgestaltigen objektivierbaren und/oder subjektiven Symptomen einhergeht
 -  Status epilepticus [1] 
- Tonisch-klonischer Anfall >5 min
 - Fokaler Anfall mit Bewusstseinseinschränkung >10 min
 - Absence >10–15 min
 
 - Refraktärer Status epilepticus: Anfall >30 min
 - Superrefraktärer Status epilepticus: Anfall >24 h
 
Das Risiko für einen Status epilepticus steigt ab einer Anfallsdauer von ca. 3 min! [2]
Behandlungsziele [2]
- Vitalfunktionen stabilisieren
 - Sekundäre Verletzungen vermeiden
 - Anfall unterbrechen
 - Ggf. akute Ursachen behandeln
 
Differenzialdiagnosen
- Synkopen
 - Affektanfälle
 - Dissoziative nicht-epileptische Anfälle
 - Myoklonische Phänomene (z.B. benigner Myoklonus des Säuglings)
 - Paroxysmale Bewegungsstörungen (z.B. benigner paroxysmaler Torticollis)
 - Weitere siehe: Differenzialdiagnosen epileptischer Anfälle bei Kindern und Jugendlichen
 
Akutmaßnahmen - Überblick
|   Akutmaßnahmen bei epileptischem Anfall im Kindes- und Jugendalter [2]  |  ||
|---|---|---|
| Anfallsdauer | Maßnahmen | Diagnostik | 
| <3 min |  
  |   
  |  
| >3 min |  
  |   
  |  
| >10 min |  
  |   
  |  
| >30 min |  
  |   
  |  
Basismaßnahmen
- Sichere Umgebung schaffen
 - Vitalfunktionen beurteilen , ggf. Atmung und Kreislauf stabilisieren (siehe auch: Reanimation von Kindern - AMBOSS-SOP )
 - Orientierend körperlich untersuchen
 - Mundraum/Atemwege freihalten (keine Gegenstände in den Mund stecken )
 - Ggf. in stabile Seitenlage bringen
 - Kopf und Extremitäten polstern
 - Anfall beobachten
 - 
Fremdanamnese erheben 
- Mögliche Ursachen/Trigger?
 - Beginn und Verlauf?
 - Akute Erkrankung?
 - Chronische Erkrankungen?
 - Sturz?
 - Medikamenteneinnahme?
 
 
Innerhalb der ersten 3 min müssen die Vitalfunktionen beurteilt und ggf. stabilisiert werden!
Medikamentöse Anfallsunterbrechung
Stufe 1: Benzodiazepine (Einzelgaben)
- Indikation: Anfallsdauer >3 min
 -  Maßnahmen 
- 
Benzodiazepin verabreichen (bei Bedarf einmalige Wiederholung nach 5 min), z.B. 
-  Diazepam rektal (gewichtsadaptierte Dosierung, CAVE: Tube zusammengedrückt herausziehen, um Zurücksaugen der Flüssigkeit zu vermeiden!) [2] 
- <15 kg
 - ≥15 kg
 
 -  Oder Midazolam bukkal (altersabhängige Dosierung) [2][3] 
- 3 bis <12 Monate
 - 1 bis <5 Jahre
 - 5 bis <10 Jahre
 - 10 bis <18 Jahre
 
 - Oder Midazolam i.v. (altersunabhängige Standarddosierung, Off-Label Use)
 - Oder nasale oder bukkale Applikation mittels i.v. Injektionslösung (altersunabhängige Standarddosierung, Off-Label Use)
 
 -  Diazepam rektal (gewichtsadaptierte Dosierung, CAVE: Tube zusammengedrückt herausziehen, um Zurücksaugen der Flüssigkeit zu vermeiden!) [2] 
 - Intravenösen Zugang legen
 -  BGA durchführen (inkl. Glucose, Elektrolyte , Lactat, pH-Wert, pCO2) 
-  Bei Hypoglykämie: Glucose i.v.  [4] 
- Weitere Maßnahmen siehe auch: Therapie der Hypoglykämie
 - Bei Insulinüberdosierung siehe auch: Diabetes mellitus Typ 1 im Kindes- und Jugendalter - Hypoglykämie
 
 -  Bei schwerer Hyponatriämie : NaCl 3% i.v.   [5] 
-  Zu beachten [6] 
- Initial raschen Anstieg um ca. 5 mmol/L pro Stunde anstreben (bis 125 mmol/L)
 - Anschließend langsamen Anstieg um max. 1–2 mmol/L pro Stunde (bis 135–145 mmol/L) anstreben
 - Nach 30, 60 und 120 min Natriumkonzentration kontrollieren (ggf. engmaschiger)
 
 
 -  Zu beachten [6] 
 -  Bei Hypernatriämie (und Dehydratation) : NaCl 0,9% i.v.  [4] 
-  Zu beachten [6] 
- Bei Schock ggf. zusätzlich kolloidale Infusionslösung erwägen (z.B. Humanalbumin 5%)
 - Möglichst langsamen Abfall um max. 10–15 mmol/L pro Tag anstreben (bis 135–145 mmol/L)
 - Nach 30, 60 und 120 min Natriumkonzentration kontrollieren (ggf. engmaschiger)
 
 
 -  Zu beachten [6] 
 
 -  Bei Hypoglykämie: Glucose i.v.  [4] 
 - Blut abnehmen
 - Ggf. Intensivstation informieren
 
 - 
Benzodiazepin verabreichen (bei Bedarf einmalige Wiederholung nach 5 min), z.B. 
 
Ab einer Anfallsdauer von >3 min ist eine medikamentöse Anfallsunterbrechung mit einem Benzodiazepin indiziert!
Sistiert der Anfall nach der zweiten Benzodiazepingabe nicht, sollte ein Anfallssuppressivum mit anderem Wirkmechanismus verabreicht werden (Stufe 2)!
Stufe 2: Anfallssuppressiva (Einzelgaben)
- Indikation: Anfallsdauer >10 min trotz Maßnahmen der Stufe 1
 -  Maßnahmen 
- 
Anfallssuppressivum verabreichen, z.B. 
- Phenobarbital [7]
 - Oder Levetiracetam (Off-Label Use) [4][8]
 - Oder Phenytoin (Off-Label Use im Alter <2 Jahre) [9]
 - Oder Valproat (Off-Label Use) [10]
 
 - Auf Intensivstation verlegen, kontinuierliches EKG ableiten
 - Bei V.a. ZNS-Infektion: Lumbalpunktion durchführen und Antibiotika verabreichen 
- Siehe auch: Durchführung einer Liquorpunktion
 - Siehe auch: Kalkulierte Antibiotikatherapie bei Meningitis
 
 - Ggf. zerebrale Bildgebung und EEG initiieren
 
 - 
Anfallssuppressivum verabreichen, z.B. 
 
Bei V.a. ZNS-Infektion besteht die Indikation zur Lumbalpunktion und kalkulierten Antibiotikatherapie!
Valproat ist bei Schwangeren und Frauen in gebärfähigem Alter kontraindiziert!
Stufe 3: Tiefe Sedierung (Dauerinfusion)
- Indikation: Anfallsdauer >30 min trotz Maßnahmen der Stufen 1 und 2
 -  Maßnahmen 
- Kontinuierliches EEG ableiten
 - Intubieren
 - Per Dauerinfusion tief sedieren, bspw. 
- Midazolam (Off-Label Use) [11]
 - Oder Propofol (Off-Label Use) [11]
 - Oder Thiopental (Off-Label Use) [11]
 
 
 - Dauer: Mind. 24 h nach Ende des Status epilepticus
 - Ziel: Verschwinden der Anfallsaktivität oder Erreichen einer Burst-Suppression-Aktivität
 
Während der Sedierung sollte kontinuierlich ein EEG abgeleitet werden!
Da eine tiefe Sedierung zu einer Atemdepression und einem Ausfall der Schutzreflexe führt, ist für diese Maßnahme eine Intubation erforderlich!